Freitod aus Christlicher Sicht
Wie ich auf den assistierten Freitod meiner Mutter reagierte
Heute stelle ich euch vor die Wahl zwischen Leben und Tod, zwischen Segen und Fluch. Der Himmel und die Erde sind meine Zeugen. Wählt doch das Leben, damit ihr und eure Nachkommen am Leben bleiben! 5. Mose 30:19
Vor fast einem Jahr hat sich meine Mutter dazu entschieden, ihrem Leben ein Ende zu setzen. Mit Hilfe von Exit.
Wir betonen freien Willen an den falschen Orten
In der Schweiz gibt es zwei Organisationen, Dignitas und Exit, welche sich dafür einsetzen, dass Menschen mit Würde sterben können. So nennen sie es. Mann müsse den freien Willen des Einzelnen respektieren. So sagen sie.
Heutzutage betonen wir den Wert eines freien Willens an den falschen Orten.
Es gibt keine Würde im Freitod. Weder für diejenigen, die zurückbleiben, noch für den, der ihn begeht. Und speziell nicht für den, der den Prozess begleitet und unterstützt. Nichts ist so endgültig, so todbringend wie der Freitod. Es gibt kein Zurück, um in Ordnung zu bringen, was getan wurde. Und es gibt keine Art, keinen Blickwinkel, wie Freitod Leben bringen könnte.
Liebe ist, die Entscheidungen zu respektieren, die jemand fällt
Sicher, manchmal bringt es Erleichterung, wenn jemand nicht mehr da ist. Eine von Schmerzen geplagte Person kann eine Last sein, manchmal sogar ist es zu schwer zu ertragen. Aber so ist das Leben. Ein solcher Abgang bringt nur Trauer.
In den letzten Monaten wurde ich auf all das zurückgeworfen. Hier ein paar meiner Gedanken.
Wenn Gott ein Gott der Liebe ist, wie kann er manchen solche Schmerzen und Last auferlegen, während andere durchs Leben zu schweben scheinen?
Es wurde mir bewusst, dass wir Liebe falsch verstehen. Liebe ist eine Entscheidung, nicht eine Emotion. Liebe ist, für den anderen sein Leben zu geben – nicht nur durch physischen Tod. Jesus hat dies für uns getan, und wir tun es für andere. Liebe ist, die Entscheidungen eines anderen zu respektieren. Freien Willen gross zu schreiben, ja in Ehren zu halten. Gott tut dies. Obwohl es ihn zutiefst schmerzt. Er liebt uns so sehr, dass er unsere Entscheidungen respektiert, sogar die Entscheidung, ein ewiges Leben ohne ihn zu leben.
Nicht, dass er nicht versuchen würde, das zu verhindern. Aber wenn ich mich entscheide, nicht auf ihn zu hören, dann respektiert er auch das. Dann mischt er sich auch nicht ein, wenn ich mit den Konsequenzen meiner Entscheidungen leben muss. Aber wenn ich ihn in mein Leben mit einbeziehe, ja ihm sogar die Führung überlasse, dann wird er die Konsequenzen meiner früheren Entscheidungen verändern, und mir helfen, von nun an die richtigen Entscheidungen zu treffen.
Das ist Liebe.
Könnte Gott uns nicht in Ruhe lassen, wenn er bereits weiss, wie wir uns entscheiden?
Wenn Gott ein Gott der Prädestination ist, unsere Leben also bereits feststehen, von ihm im Detail geplant wurden, kommt es dann überhaupt darauf an, was wir tun? Wäre dann der Freitod nicht bereits vorher geplant? Richtig, wenn Gott ein Gott der Prädestination wäre. Aber dann wäre er kein Gott der Liebe. Hätte er unser Leben vorherbestimmt, wäre das für jede unserer Entscheidungen so, und für die daraus entstehenden Konsequenzen. Da wäre kein Raum für freien Willen, und daher kein Raum für die Liebe.
Gott aber ist ein Gott der Voraussicht. Er kennt das Ende von Anfang an, und hat den Anfang vom Ende her geplant. Wie das? Er ist Einsteins Beobachter ausserhalb des Systems. Er lebt ausserhalb der Zeit, und weiss darum alles, was geschah, geschieht, und geschehen wird.
Ist nun Gott ein Gott der Voraussicht, der Prävision, dann hat er doch den Freitod meiner Mutter vorausgesehen und ihr genügend Chancen im Voraus gegeben, ihm zu begegnen. Dann wäre der Freitod im Prinzip identisch mit einen natürlichen Tod. Nur ein anderer Weg zu gehen. Ich gebe zu, meine Mutter hatte in ihrem Leben viele Chancen, Gott zu finden. Sie nahm Jesus drei Mal in ihrem Leben an, nur um ihn dann aufgrund von menschlichem Verhalten seiner Diener wieder zu verwerfen. Ich weiss, dass Gott meiner Mutter in ihren letzten Momenten noch einmal begegnete, weiss aber nicht, wie sie sich entschieden hat.
Könnte Gott uns also nicht einfach in Ruhe lassen, zu mindestens diejenigen, von denen er weiss, dass sie sich gegen ihn entscheiden? Klar, da er bereits weiss, was geschehen wird, könnte er das. Aber damit würde er die Zukunft verändern, denn eine Entscheidung zu treffen und mit Nein zu antworten ist etwas ganz anderes als gar nicht mit der Frage konfrontiert zu werden. Es ist fair, für ein Nein die Konsequenzen zu tragen. Aber im anderen Fall? Er würde uns den freien Willen rauben. Und natürlich haben unsere Entscheidungen immer auch Einfluss auf andere Menschen – und deren Leben würde auch verändert.
Ihre Entscheidung, sich das Leben zu nehmen, war purer Egoismus
Ich versteh meine Mutter. Und obwohl ich mit ihrer Entscheidung nicht einverstanden bin, respektiere ich sie. Ich hoffe, sie hat sich der letzten Entscheidung gestellt und mit Ja geantwortet. Ich werde es später sehen. Was ich aber weiss: ihre Entscheidung, sich das Leben zu nehmen, war purer Egoismus. So hat sie es mir gesagt. Ich kann daran nichts mehr ändern. Ich lass die Toten ihre Toten begraben und kümmere mich um die Lebenden. Das tönt grausam, aber so wollte sie es.
Ich mache mir nur sorgen um die Menschen, die anderen in all dem „helfen“. Als Zeuge oder als derjenige, der ihnen das Gift reicht. Wie verblendet sie doch sind – sie denken, sie tun Gutes. Aber es ist nicht von Gott. Es geht nämlich nicht darum, Gutes zu tun, sondern Leben zu bringen.
Und meine Entscheidung in all dem?
Ich entschied mich, meiner Mutter nicht zu helfen. Sie wollte mich als gesetzlichen Zeugen ihres Todes. In diesem Amt hätte ich bezeugen müssen, dass es kein Mord war. Aber, offen gesagt, kann ich das nicht. Ich kann mich der Definition von Mord, wie sie von diesen Organisationen vertreten wird, nicht anschliessen. Es sei kein Mord, es geschehe alles freiwillig. So trage niemand eine Verantwortung, sagen sie.
Die letzten Wochen waren schwierig zwischen mir und meiner Mutter. Sie war von mir sehr enttäuscht und wütend auf mich. Ich würde ihr den letzten Gefallen verweigern, an ihrem Freitod teilzunehmen. Sie argumentierte mit freiem Willen, liess aber meinen freien Willen ausser Acht.
Ich ging nicht hin. Aus Liebe. Liebe meinem Gott, meiner Familie gegenüber. Ich habe mich für das Leben entschieden. Rückblickend bin ich froh für meine Entscheidung. Ich ehre den freien Willen. Darum musste ich sie gehen lassen, obwohl ich um die möglichen schrecklichen Konsequenzen weiss. Ich weiss aber auch, dass Gott ein Gott der letzten Chancen im allerletzten Moment ist. Ich habe es bereits gesagt: ich weiss nicht, wie meine Mutter sich entschieden hat.
Ich ehre den freien Willen. Und darum bin ich gegen den assistierten Freitod, wie Selbstmord verniedlichend genannt wird. Zu gross ist die Gefahr, dass bald Alte und Kranke unter moralischem oder offen geäussertem Druck dazu gedrängt werden, sich selbst zu töten – um Gesunden und jungen Platz zu machen, um uns von einer Last zu befreien.
Ich ehre den freien Willen. Und Sie?
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